Mit einer Delegation der Intergroup für Tibet besuchten wir Im Jahr 2001 die Tibeter mit ihrem geistigen Oberhaupt, dem 14. Dalai Lama im indischen Exil in Dharamsala. Wir trafen die Exilregierung und gewählte VertreterInnen diverser Organisationen, und gewannen tiefe Einblicke in die tibetische Kultur. Der Höhepunkt der Reise in den Himalaja war die Audienz mit dem Dalai Lama. Es war nicht das erste und nicht das letzte Treffen für mich mit dem Nobelpreis- Träger für Frieden ...
Regenzeit in Nordindien
Schon die Terminfindung für die Reise entpuppte sich als schwierig. Der chinesischen Regierung missfiel der Besuch, denn in ihren Augen wertete das EP damit die Tibeter in ihrem Freiheitsbestreben auf. Das war auch unsere Absicht! Die TibeterInnen streben nicht nach staatlicher Autonomie von China, sondern möchten in Gesprächen mit der Besatzungsmacht Selbstbestimmung in Kultur, Religion und interner Verwaltung erreichen. Das deckt sich mit der Menschenrechtspolitik des EP.
Für uns ParlamentarierInnen fand sich nicht leicht ein gemeinsamer Termin. So wichen wir auf die erste Woche der Parlamentsferien aus - für die Exiltibeter passte der Zeitpunkt - nur es war Regenzeit in Indien ...
Vom Indira Ghandi International Airport in New Delhi flogen wir in den Norden Indiens, nach Jammu. Die Provinz Jammu und Kashmir ist durch Grenzkonflikte mit Pakistan sehr unruhig. Täglich wurden etwa 20 Menschen getötet bei politischen Unruhen und Terrorattacken. Hohe Militärpräsenz und ständige Kontrollen durch Polizei bestimmen das Straßenbild. Mit dem Bus ging es dann in südöstlicher Richtung weiter nach Dharamsala, zu unserem Ziel in der indischen Provinz Himachal Pradesh an den Ausläufern des Himalaja Gebirges. Augenscheinlich herrscht viel Armut in der Region. Hungernde Menschen haben wir aber nicht gesehen - das mag an der üppigen Natur liegen, die die Menschen ernährt.
Indien hatte nach der Flucht des Dalai Lama und seiner Gefolgsleute im Jahr 1959, den Tibetern Asyl gewährt. In ähnlichen klimatischen Verhältnissen wie in Tibet bauten die heimatlos Gewordenen sich in Dharamsala nach und nach ihre Häuser, tibetische Schulen, Parlament, Nationalbibliothek, das Kulturzentrum Norbulingka zum Erhalt der alten Handwerke, ein Museum und mehrere Klöster auf. Ein Zentrum für tibetische traditionelle Medizin besuchten wir ebenso wie die Nationalbibliothek und ich beauftragte das Astrologische Institut, mir ein Horoskop anzufertigen, das mir nach einigen Wochen nach Deutschland geschickt wurde.
Die tibetische Bevölkerung bereitete uns einen herzlichen Empfang. Zur Begrüßung bekamen wir weiße Seidenschals, die Khata, umgehängt. Am Ende des ersten Tages hatte ich elf Khatas um den Hals, und das Herz angefüllt mit Freude und Dankbarkeit. Gerne habe ich die Freude und die Schals an FreundInnen zuhause weitergeteilt.
Das Leben der Tibeter/Innen im Exil
Politische Gespräche mit der Exilregierung "The Kashag" und dem Auslandsparlament standen am Anfang unseres Programms. Die größten Gruppen von Exiltibetern leben in Nord- und Südindien und in der Schweiz. Diese wählten 46 Abgeordnete, davon 10 Frauen und eine Regierung von 8 Ministern , davon sind zwei weiblich. Das geistige Oberhaupt ist der XIV. Dalai Lama und gleichzeitig auch Staatsoberhaupt.
Als brennendstes Problem schilderte man uns die chinesische Einwanderungspolitik nach Tibet. In der gesamten "Autonomen Provinz Tibet" (APT) leben ca 2.5 Mio
einheimische TibeterInnen. Seit Jahren betreibt China eine Zuwanderungspolitik mit dem Ziel, 20 Millionen Han Chinesen in der APT anzusiedeln. Jetzt schon sind an vielen Orten die Tibeter eine
Minderheit im eigenen Land. Die neue Eisenbahnstrecke von Peking nach Lhasa beschleunigt diesen Prozeß. Menschenrechte wurden mit Füssen getreten und hunderte von Exekutionen
sind vollstreckt worden. Das EP hat hierzu eine Reihe von Resolutionen verabschiedet. Dafür dankten uns die Repräsentanten Tibets sehr herzlich.
Ich traf die Vorsitzende der Tibetischen Frauenorganisation und Parlamentarierinnen. Wir sprachen über die Auswirkungen der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking. Ich hatte in der Resolution des EP von 1995 als Berichterstatterin die Unterdrückung der Tibeterinnen angesprochen. Uns erreichten Information, nachdem an Tibeterinnen, ebenso wie an Chinesinnen, Zwangsabtreibungen vorgenommen wurden. Das EP hatte sich meiner im Bericht vertretenen Auffassung angeschlossen, und diese Menschenrechtsverletzung der chinesischen Autoritäten verurteilt.
Auch mit JugendvertreterInnen trafen wir zusammen. Bislang reicht die Autorität des Dalai Lama und seine absolut gewaltfreie Linie gegenüber den Chinesen aus, damit die tibetische Jugend ihm folgt. Aber aus den Gesprächen war herauszuhören, daß die Jugend aufbegehrt und sich nicht zur "Schlachtbank" führen lassen will. Selbstverbrennungen von Mönchen und hohe Gefängnisstrafen in China für stummen Protest lassen die Wut hochkochen. Das Zeitfenster für eine friedliche Lösung des Tibetkonflikts wird immer kleiner! Nicht auszudenken, was ohne die bislang unangefochtene Autorität des Friedensnobelpreisträgers passieren wird.
Logistisch war es schwierig, das dichte Programm zu bewältigen, weil durch den Regen oftmals Erdrutsche die Straßen versperrten. Im Umland von Dharamsala bewegten wir uns immerhin zwischen ca 1000 - 2000 Höhenmetern.
FLUCHT DURCHS HOCHGEBIRGE VON NEPAL
Als besonders beeindruckend erlebte ich die Besuche und die Gespräche mit Flüchtlingen im Aufnahmelager. Ohne Familie war die Fünfjährige Tsiring Kyi von einem Mönch durch Nepal ins Flüchtlingslager gelangt. Weite Strecken sei die Kleine selbst gelaufen, aber über einen Pass durch Tiefschnee habe der Mönch sie getragen. Ihre Eltern wünschten sich nicht sehnlicher als ihr eine bessere Zukunft mit Bildung zu ermöglichen. Der Wunsch war so stark, dass sie inkauf nehmen, ihr Kind nie wieder im Leben zu sehen ...
Der siebzehnjährige Junge Anshring schilderte seine Flucht. Sie war so anrührend, dass der Übersetzer mit tränenerstickter Stimme unterbrechen musste. Eine Frau berichtete, dass sie über Mittelsmänner mit Familie über Nepal gekommen sei. Sie hätten 1000 Juan pro Person zahlen müssen. Das Geld habe sie durch jahrelange Arbeit im Straßenbau angespart.
Die Unterkunft und Verpflegung ist karg im Lager und die Erstausstattung, die alle Neuankömmlinge erhalten ist einfach - aber sie haben ihr Leben und sie haben Hoffnung!
Wir besuchten Schulen und ein Kinderheim. Mit viel internationaler Unterstützung werden sehr beeindruckende Anstrengungen unternommen. Unter den schwierigen Gegebenheiten leben die Kinder, sehr oft Waisen oder von ihren Familien getrennt, in friedlicher Umgebung. Frei von Hass sollen sie aufwachsen, um verantwortliche Erwachsene zu werden. Auffallend war die große Ernsthaftigkeit unter den Kindern. Schreckliche Erlebnisse und mehr oder weniger verarbeitete Traumata und Trennung von Ihren Lieben hatte fast jedes Kind hinter sich, erzählten uns die ErzieherInnen.
Das Straßenbild von Dharamsala mit seinem bunten Völkergemisch ist beeindruckend. Die tiefe Religiosität, Freude und der offene Blick sind charakteristisch für Buddhisten. Aber auch hinduistische Bettelmönche und Pilger aus der ganzen Welt bevölkern die Himalaja-Stadt.
Wir besuchten ein Recycling Zentrum, das die Bevölkerung zum schonenden Umgang mit Rohstoffen erziehen möchte. In der Gebirgsregion ist es noch schwieriger als bei uns, das Bewusstsein dahingehend zu verändern.
Im Kulturzentrum Norbulingka werden alte Kunsthandwerke gepflegt und gelehrt. Die Klostermalerei, Teppichknüpfen, Thangka-Malerei mit den religiösen Motiven und auch touristische Artikel werden gefertigt und in die ganze Welt exportiert. Alles muss sehr exakt ausgeführt sein, da die Produkte sakralen Charakter haben.
Mit unserem Kollegen Reinhold Messner suchten wir Abbildungen von dem sagenumwobenen Schneeungeheuer Yeti und wurden fündig. Ich erwarb einen wunderschönen
Thangka, ein sehr fein ziseliertes Wandbild, das eine weiße Tara, die Gottheit der Liebe, darstellt. Nicht zuletzt wollte ich die Kunsthandwerker in ihrer Arbeit unterstützen.
Zuhause hat er einen Ehrenplatz und hilft wunderbar zum Meditieren und um abzuschalten.
Om mani padme hum
Der Buddhismus ist eine Lehrtradition und Religion, die ihren Ursprung in Indien findet. Sie hat weltweit etwa 400 Mio. Anhänger und ist damit viertgrößte Glaubensgruppe. Ihr Grundsatz ist die Friedfertigkeit. Grundlage der buddhistischen Praxis und Theorie sind die Vier Edlen Wahrheiten: Die Erste Edle Wahrheit, dass das Leben in der Regel vom Leid über Geburt, Alter, Krankheit und Tod geprägt ist; die Zweite Edle Wahrheit, dass dieses Leid durch die Drei Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung verursacht wird; die Dritte Edle Wahrheit, dass zukünftiges Leid durch die Vermeidung dieser Ursachen nicht entstehen kann bzw. aus dieser Vermeidung Glück entsteht und die Vierte Edle Wahrheit, dass die Mittel zur Vermeidung von Leid, und damit zur Entstehung von Glück, in der Praxis der Übungen des Edlen Achtfachen Pfades zu finden sind. Diese bestehen in: Rechter Erkenntnis, rechter Absicht, rechter Rede, rechtem Handeln, rechtem Lebenserwerb, rechter Übung, rechter Achtsamkeit und rechter Meditation, wobei mit recht die Übereinstimmung der Praxis mit den Vier Edlen Wahrheiten, also der Leidvermeidung gemeint ist.
Nach der buddhistischen Lehre sind alle unerleuchteten Wesen einem endlosen leidvollen Kreislauf, Samsara, von Geburt und Wiedergeburt unterworfen. Ziel der buddhistischen Praxis ist, aus diesem Kreislauf des ansonsten immerwährenden Leidenszustandes herauszutreten und zu durchbrechen, Nirvana. So lautet die Wikipedia Beschreibung.
Wir besuchten mehrere buddhistische Klöster. In der Theorie gibt es keine Unterschiede zwischen Nonnen und Mönchen, nur die Anzahl der Mönche ist deutlich höher. Die Nonnen unten im Bild übergaben uns Petitionen und Schriftverkehr über Menschenrechtsverletzungen. Einiges konnten wir Abgeordnete in Resolutionen einbringen, die später vom EP verabschiedet wurden. Humanitäre Hilfe leistete auch die EU Kommission, die viele Anliegen strukturiert weiter verfolgte. Darüber hinaus halfen die Kontakte, die wir MEPs in die verschiedenen Tibet Support Groups pflegten, und das politische und persönliches Engagement für die Sache Tibets, die halfen sehr konkrete Projekte und praktische Hilfe für die Tibeter zu organisieren.
Traditionelle tibetische Musik wird in volkstümliche Lieder und die für religiöse Zeremonien unentbehrliche Kultmusik eingeteilt. Meist von Saiteninstrumenten begleitetet,
spiegelt sie poetische Geschichten von Hirten, von der Feldarbeit, von Hochzeiten. Sie sind ähnlich der chinesischen, mongolischen oder indischen Volksmusik. Die sakrale Musik wird von
Blas- und Perkussionsinstrumenten getragen, im Wechsel oder in Verbindung mit dem tiefen monotonen Gesang der Mönche oder Nonnen. Vor dem Wandbild des Potala, des großen Haupttempels und Sitz des
Dalai Lama in Tibets Hauptstadt Lhasa erlebten wir die Bandbreite der Musik. Traditionelle Festtags Trachten und Farbenfrohe Dämonentänze rundeten die Vielfalt tibetischer
Kultur ab.
Der Höhepunkt im Leben eines Menschen mit tibetischen Wurzeln ist eine Begegnung mit ihrem geistigen Oberhaupt, S. H. dem Dalai Lama. Sie nehmen lange Pilgerreisen auf sich und tage- und stundenlange Wartezeiten, um einen Blick auf den im Auto vorüberfahrenden Dalai Lama zu erhaschen. Um die positive Wirkung für das nächste Leben zu erhöhen wird die unten links im Foto dargestellte Niederwerfungsübung betrachtet. Man sammelt so gutes Karma an, um für die Wiedergeburt einen guten Start zu haben.
In einem schlichten Raum empfing uns der Friedens Nobelpreisträger mit seinem sehr menschlichen, fröhlichen Lächeln. Unsere ParlamentarierInnendelegation hatte in einem zweistündigen Gespräch Gelegenheit, alle Themen zu diskutieren.
Der Dalai Lama beeindruckte immer wieder durch seine Haltung, eine friedliche Lösung für den Tibet Konflikt zu finden. Er betonte immer wieder seine Bereitschaft, ohne Vorbedingungen mit den Chinesen zu verhandeln.
Eine wahre Freude ist der feine Humor, den der Dalai Lama auch bei den sehr ernsten Fragen an den Tag legt. Keine Besserwisserei, sondern Erkenntnis und Überzeugung ist die Kraft des Buddhismus.
All living beings seek happiness,
All living beings have feelings and try to avoid pain,
Roots of happiness lies within, and relates on the State of Mind.
S.H. Dalai Lama
GEFÄHRLICHE Heimreise mit Hindernissen
Zum wahren Horrortrip geriet unsere Heimreise. Auf dem Weg zum Jammu Airport hatte ein Erdrutsch die Straße unpassierbar gemacht. Der einheimische Busfahrer meinte, mindestens 1-2 Tage dauere die Wiederherstellung der Befahrbarkeit. Was tun?
Die Entfernung zum Airport in New Delhi betrug zwar nur rund 500 km - aber bei diesen Straßenverhältnissen ...
Es war wirklich gefährlich. Nach kurzem Ratschlag beschlossen wir gemeinsam: wir versuchen ohne weiteren Stop mit dem Bus nach Delhi zu fahren. Mit etwas Glück konnten wir die Lufthansa Maschine dort erreichen, die um 2.55 Uhr nachts abfliegen sollte. Bananen und Kekse und Wasser wurden unsere Verpflegung. Die beiden Fahrer holten die letzten PS aus den Maschinen heraus, und fuhren mit Karacho durch die Dörfer. Kinder und Hunde wichen vor dem herannahenden Bus aus - nicht jedoch die zahlreichen "heiligen" Kühe. Sie sind gewohnt, dass man sich ihnen ehrfürchtig nähert - also doch voll in die Bremsen - und wieder beschleunigen. Es halfen nur noch Stoßgebete ... om mani padme hum .
Auf der Hälfte der Strecke machten wir eine viertelstündigen Pinkelpause, danach wollte der Bus nicht mehr anspringen. Alle Männer und Frauen schoben an, und tatsächlich heulte der Motor wieder auf.
Als die Dunkelheit hereinbrach, stellte der Fahrer fest, dass sich die Scheinwerfer verabschiedet hatten... Gegen Mitternacht erreichten wir die Stadtgrenze Delhis. Fix und fertig, voller Staub und die Knochen und Muskeln durchgeschüttelt, waren wir alle heilfroh wohlbehalten den Flughafen erreicht zu haben.
Am Airport empfing uns eine Vertretung der deutschen Botschaft und beschleunigte die Abfertigungsformalitäten der indischen Bürokratie. Am Ende betraten alle TeilnehmerInnen vollkommen erledigt, aber rechtzeitig den Jumbo der Lufthansa in Richtung Europa.
Da wir nach Westen, gegen die Zeit flogen, erreichten wir nach kurzem Schlaf morgens um 7 Uhr den Frankfurter Flughafen. Randvoll mit neuen Eindrücken und Ideen angefüllt, machte ich mich an die Aufarbeitung dieser wahrhaft abenteuerlichen Asienreise.
Wir schrieben Berichte und eine Resolution für das Europäische Parlament, und versuchten alle für die persönlichen Anliegen unserer tibetischen Freunde soviel Hilfe wie möglich zu organisieren.
VIELEN DANK - TASHI DELEK
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