Die Internationale Konferenz der Familienverbände führte mich im Oktober 1990 nach Moskau. Das erste Jahr als Europaabgeordnete lag hinter mir und als Arbeitsgebiete hatte ich Frauen- und Gleichstellungspolitik beackert. Für Kinder- beziehungsweise Jugendpolitik war die EU bis dato kaum aktiv geworden, vor allem, weil die Mitgliedsstaaten die gesamte Sozialpolitik gerne in nationaler Zuständigkeit behalten wollten.
Ich fragte mich wie denn gleiche Lebensbedingungen in der gesamten EU hergestellt werden sollen, wie es im EU Vertrag verbindlich geregelt ist? Mindeststandards müssen definiert und in den EU Richtlinien, das heißt gesetzlich in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden! Es gab Handlungsbedarf für das Soziale Europa: stürzte mich in die Arbeit!
Die Sowjetunion verschwindet ...
Es war eine spannende Zeit in Moskau. Der Generalsekretär Michail Gorbatschow mit seiner neuen Politik von Glasnost und Perestroika hatte eine moderate Demokratisierung in der UdSSR eingeleitet. Es war noch vollkommen offen, ob er diesen Kurs der Öffnung Russland politisch durchhalten konnte. Auch seine Frau Raissa Gorbatschowa strahlte die neue Aera im kommunistischen Stammland aus. Sie brachte als First Lady Russlands mit modernen Gedanken und der Erscheinung mit westlicher Kleidung frischen Wind in Moskaus Society.
Es war eine besondere Ehre, dass sie die Konferenz eröffnete. In Vertretung des Präsidenten des EP überbrachte ich den Familienverbänden ein Grußwort - mein erster offizieller Auftritt in Russland. Später wurde ich Mitglied der Russland-Delegation des EP. Die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland intensivierte sich ständig.
Viele wertvolle Kontakte konnte ich so mit den Familien Verbänden aus allen Teilen der Welt knüpfen, mit denen ich später weiterarbeitete und den ersten Bericht über die Rechte der Kinder in der EU verfasste. Ich erhielt sogar über den KPdSU Generalsekretär Gorbatschow eine Einladung zur Sitzung in die Duma, das sowjetische Parlament! Damals war zu den Parlamentssitzungen noch keine Öffentlichkeit vorgesehen. Ich bedaure bis heute, dass ich vor dem Termin zurückreisen musste. Niemand ahnte, dass ein Jahr später die Sowjetunion aufgelöst wurde!
Roter Platz, Kreml und das Lenin Mausoleum konnte ich aus Zeitmangel nur ganz kurz anschauen. Wie immer bei meinen Reisen suchte ich die Nähe zu den Menschen um einen kleinen Einblick in ihren Alltag zu bekommen.
Unverzichtbar ist dazu die U-Bahn, sie hat die tiefsten Tunnel und Bahnhöfe der Welt und ist mit rund 2 Milliarden Fahrgästen jährlich wohl die weltweit verkehrsreichste U-Bahn .Viele Stationen der Moskauer Metro sind 1935 in sehr anspruchsvollen Architektur gebaut worden, als unterirdische Paläste für die Werktätigen.
Rund um die Metro pulsiert das Leben. KünstlerInnen, HändlerInnen, abgehetzte Moskauer und Touristen eilen durch die Straßen.
In den 90ern war aber auch der kommunistische Überwachungsstaat noch allgegenwärtig. Die Straßen waren mit Kamerasystemen bestückt, die nicht die Verkehrsströme, sondern die Menschen im Fokus hatten. Militär beherrschte das Straßenbild und auch im Hotel fand sich wie in schlechten Agentenfilmen in jedem Stockwerk gegenüber des Aufzuges ein Schreibtisch mit einem "Bewacher" der genau registrierte wer wann kam und ging.
Erste sichtbare Anzeichen für die westliche Öffnung war Coca-Cola Werbung und die Eröffnung des ersten MacDonalds Restaurants im Ostblock. Lange Schlangen bildeten sich vor der ersten Moskauer Filiale, was bei uns Westlern nur Erstaunen auslöste.
Die Armut weiter Teile der Bevölkerung war sehr augenfällig. Wie ein grauer Schleier über den Augen schienen besonders die Älteren am Existenzminimum zu leben. Die spärliche Rente war zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig. Bis es nicht mehr ging, musste hinzuverdient werden.
Über die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit des EP und der DUMA in dem gemischten Ausschuss EU - Sowjetunion berichte ich an anderer Stelle.
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